Du hast diese Sätze alle schon gehört oder selbst gesagt. Garantiert! Es scheint Überzeugungen über Schule, Kinder oder das Leben an sich zu geben, die fleißig kultiviert und nicht hinterfragt werden. LehrerInnen und Eltern tragen sie in die Schule hinein und die Suche nach Beweisen geht schon bei den Kleinen los.
Allen Sätzen ist gemeinsam, dass sie die Lernfreude hemmen und unsere Beziehungen zu unseren eigenen Kindern oder unseren SchülerInnen belasten. Deshalb teile ich mit dir auch Alternativen, mit denen wir starke Beziehungen aufrecht erhalten oder aufbauen können. Ihnen ist wiederum gemeinsam, dass wir unsere Überzeugungen hinterfragen, die unsere Sprache bestimmen! Es gilt: Worte erschaffen unsere Realität!
Inhalt
Jetzt beginnt der Ernst des Lebens!
Von all diesen Sätzen ist der wohl der Klassiker. Ich warte förmlich darauf, dass er zum neuen Schuljahr wieder die Zeitungen ziert. ? Bisher war die Kindheit unbeschwert, die Kinder hatten Spaß. Und jetzt ist Schluss damit! Jetzt wird es ernst! Jetzt geht’s um was!
? Hat jemand den Ernst des Lebens schon mal kennen gelernt? Was meinen wir damit? Leben an sich hat doch gar keine Eigenschaften, außer denen, die wir ihm verleihen. Meinen wir damit, dass wir manchmal Dinge tun müssen, auch wenn wir keine Lust dazu haben? Ich behaupte, das lernen Kinder sowieso im Alltag. Oder ist das Leben wie ein einziger Schicksalsschlag und Schule damit auch?
Mich wundert es nicht, dass bereits Grundschulkinder die Lust am Lernen verlieren, wenn wir ihnen Schule so anbieten. Wie wäre das: Du kommst in die Schule, da kannst du dich ausprobieren! Und du lernst neue Freunde kennen.
Kinder können doch nicht nur das machen, was ihnen gefällt!
Das ist ein beliebtes Argument gegen schulische Neuerungen.
Warum auch? Wieso sollte denn automatisch das Gegenteil vom status quo eintreten, wenn wir etwas ändern? Aus Langeweile wird Dauerspaß? Nein, es geht nicht darum, dass Schule zur Spaßveranstaltung mutiert, sondern um den Sinn des Gelernten. Aus ’sinnlos‘ wird vielmehr ‚persönlich bedeutend‘. Tatsächlich gefällt das dann auch öfter.
Da mag nun der Einwand kommen: So lernen sie nie, durchzuhalten. Ist es nicht genau anders herum? Die Bereitschaft, weiter zu machen, obwohl es schwierig ist, steigt. Das kennen wir alle. Immer wenn uns etwas interessiert, machen wir eher weiter, auch wenn es mal anstrengend ist oder wir stocken. Wenn es mir schnuppe ist, habe ich auch kein Commitment dazu.
Lass‘ uns also zur Abwechslung sagen: Kinder dürfen auch machen, was für sie sinnvoll und persönlich bedeutend ist.
Sie werden zu schnell groß!
Sagen wir so dahin. Was sagen wir damit eigentlich über Kinder? Oder über uns selbst?
Wieso sollen Kinder klein bleiben und langsamer groß werden? Sind kleine Kinder dann toll, große nicht? Warum? Und wenn die Kinder das mitkriegen: Wie machen sie es uns dann recht, sobald sie größer sind? ?
Wir könnten genauso gut sagen: Wie schön, ihnen beim Wachsen zuzusehen. Machen viele eher nicht. Fürchten wir etwas zu verlieren, wenn Kinder groß werden? Einfluss, unser eigenes Junggebliebensein? An Kindern kann man halt sehen, wie die Zeit vergeht: Wollen wir unser eigenes Ende nicht sehen?
Auf die Schule übertragen: An welchen Stellen fließt unser Denken über das Großwerden von Kindern in unsere Arbeit ein? Was denken wir über Jugendliche in der 7., 8., 9. Klasse? Sind das nicht ständig die Verlierer bei Vertretungsstunden, weil wir denken, wir müssten sie im Zaum halten? Oder denkst du eher, dass sie zu Nichts zu motivieren sind?
Wenn ihr lieb seid, dann…
…spielen wir am Ende der Stunde noch ein Spiel.
…bekommt ihr xy als Belohnung.
Im Umkehrschluss: Wenn ihr nicht lieb seid, dann bleiben wir am Wandertag hier! usw.
? Abgesehen von den wenn-dann-Sätzen geht es mir um das Wörtchen ‚lieb‘: Was soll das heißen? Ist das nett formuliert für „Halt‘ den Mund, mach‘, was ich sage und nerv‘ mich nicht“? Wann ist ein Kind oder eine Klasse lieb? Wieso sollen sie lieb sein? Für uns, damit wir das schaffen, was wir vorhaben? Damit unsere Nerven verschont bleiben? Damit wir unsere Ruhe haben?
Kinder werden so zum Störfaktor und sollen gefällig sein. Wenn wir denken, wir müssten sie dazu auffordern, lieb zu sein: Was denken wir dann wirklich über sie? Unkontrollierbar, zu wild, nervig, zu laut oder gar böse?
Verwendest du gar nicht das Wörtchen ‚lieb‘? Anders verpackt und genauso gemeint ist oft: „Wenn ihr gut mitmacht, dann…“
Fokus auf Vertretungsstunden
Die Steigerung davon ist, wenn selbst die SchülerInnen auf uns zukommen und Vorschläge wie diesen machen: „Ich schreibe alle Kinder auf, die stören und die können Sie zum Nacharbeiten schicken! Wenn nur Wenige stören, können wir ja noch etwas am Ende spielen.“ Herzlichen Glückwunsch, die Konditionierung ist geglückt! 🙁
Ich weiß, dass insbesondere Vertretungsstunden in manchen Klassen so ruhiger ablaufen können, eben weil noch keine Beziehung aufgebaut ist. Ist ja nicht so, als hätte ich das nicht selbst so gehandhabt. Es gibt allerdings auch Klassen, die uns bei solchen Deals erst recht zeigen, wie blöd sie das finden und auf die Barrikaden gehen. Dann haben leider alle verloren.
Alternativ biete ich in mir unbekannten Klassen lieber von Vornherein Möglichkeiten an und habe auch immer eigenes Material dabei. Es gibt Tage, da klappt die Arbeit am Wochenplan einfach nicht. Es kommt vor, dass ich schon die xte Vertretungslehrerin an diesem Tag bin und dann steige ich tatsächlich so ein: „Mensch, euch hat es heute aber echt getroffen mit so viel Vertretungen! Da kann ich verstehen, dass euch langsam die Motivation fehlt. Wie kriegen wir es denn hin, dass diese Stunde für uns alle angenehm ist?“
Und ich nutze am Ende der Stunde die Gelegenheit für Feedback, z.B.: „Yes, in dieser Stunde wart sowohl ihr als auch ich richtig produktiv!“ oder „Ich komme gern wieder zu euch!“ oder auch „Heute scheint gar nicht euer Tag zu sein, oder? Was meint ihr, wo war der Wurm drin?“
Gibst du ihnen den kleinen Finger, wollen sie gleich die ganze Hand!
Wie oft ich diesen Satz schon gehört habe. Ganz egal, ob kleine Kinder oder Jugendliche: Sie sind gierige, egoistische Wesen, denen wir nur häppchenweise Gutes tun dürfen.
Sind Kinder also schlecht und müssen von uns gut gemacht, sozialisiert werden? Müssen wir uns alle in Zurückhaltung üben und deshalb auch die Kinder? Wieso ist es eigentlich verwerflich oder unverschämt, wenn sie mehr von uns und unserem (Hilfs-)Angebot haben wollen? Spricht doch klar für uns ?
In der Schule zeigt sich oft, dass Schüler mehr Unterstützung einfordern als wir manchmal geben wollen oder gerade können. Das ist jedoch das Ergebnis von erlernter Hilflosigkeit im bekannten System. Wieder ein hausgemachtes Problem!
Oder sollen sie lernen, dass sie nicht alles haben können, was sie haben wollen? Ist ja auch so ein beliebter Standpunkt. Mangel kennt jeder in irgendeiner Form. Naja, und wenn, dann wenigstens nicht sofort? Geduld lernen und so?
Sie leben sozusagen ‚all-in‘, was viele Erwachsene verlernt haben. Was erlaubst du dir selbst nicht? In welchen Situationen könntest du dich mal wieder ohne Zurückhaltung zeigen und ‚all-in‘ geben?
Die Alternative ist gar kein einzelner Satz, sondern das Interesse dafür, wieso ein Kind Schritte nicht gehen will, die es womöglich schon kann. Das kann viele Ursachen haben, die auch bei uns liegen können.
Da müssen sie durch!
Wieso sollen Kinder ‚dadurch‘? Wir reden von 7-Jährigen, die nicht konsequent genug üben. Von 11-Jährigen, die das so in der Arbeitswelt auch nicht machen könnten. Von 14-Jährigen, die langsam echt mal Leistung bringen müssen. Arbeiten sollen sie, fleißig sein, sich anstrengen, sich durchbeißen.
Wieso? Weil das für Erwachsene auch so gut funktioniert? Nämlich gar nicht? Denn wer dauerhaft die Zähne zusammen beißt, wird krank.
Und dann besser so früh wie möglich damit anfangen, damit sie später als Erste den Ellenbogen ausfahren können?
Ich glaube: Wer in der Schulzeit lernt, was er will, was sie kann, was ihn besonders macht, wo ihre persönlichen Grenzen sind, kann in der ‚Arbeitswelt‘ überhaupt gesund sein und auf sich und andere achten. Vielleicht ‚müssen‘ WIR dadurch, das zu verinnerlichen?!
Eine neue Herangehensweise ist also, jede gemeinsame Situation daraufhin zu reflektieren, wofür sie uns dient, was wir daraus ziehen können usw. Dann kann die Erkenntnis trotzdem sein, dass es manchmal Dinge gibt, die man tun muss, auch wenn man es doof oder mühsam findet. Aber nicht mit moralischem Zeigefinger, weil wir besser wissen, was künftig auf sie wartet, sondern als konkrete Erfahrung und Möglichkeit der Weiterentwicklung hier und heute.
Wichtig ist zudem, dass sie Strategien zum Umgang mit Herausforderungen lernen. Dabei können wir ihnen ganz konkret helfen. Im beziehungsstarken Prüfungsguide teile ich 21 Ideen mit dir, wie du deine Schüler:innen mit Sicherheit durch Prüfungen begleitest!
Mädchen sind eben einfacher als Jungs!
Äußern das eigentlich nur Frauen bzw. Mütter? Ich habe das noch nie einen Mann oder Vater sagen hören. Du? Wenn es also nicht alle so sehen, kann es nicht stimmen.
Ich beziehe da jetzt mal als Frau und Mutter eine risikoreiche Position ?
Nein, Mädchen sind nicht einfacher als Jungs. Jungs sind nicht schwieriger als Mädchen. Das ist ein Label, was wir ihnen verpassen! Was genau tun sie, sodass wir denken, sie seien einfach oder schwierig?
Ja, Mädchen sind anders. Jungs auch. Jungs haben wohl ein größeres Bedürfnis nach Bewegung und körperlichem Spielen. (Der Testosteronspiegel ist aber bis zum Alter von 10 Jahren nicht wesentlich höher, das ändert sich dann in der Pubertät.) Statistisch gesehen haben Jungs im Bildungssystem häufiger Probleme. Und wie so oft ist der Schluss daraus: Weil Jungs eben schwieriger sind! Könnten wir endlich damit anfangen, Fragen in ihrem Sinne zu stellen? Was brauchen Jungs denn stattdessen? Worin kommen wir ihnen noch nicht entgegen und was können wir tun?
Wenn du mit dem Standpunkt nicht mit gehst, kannst du unabhängig vom Geschlecht fragen: Was braucht dieser heranwachsende Mensch? Denn das sind alle Kinder, egal welches Geschlecht sie haben. Dann bräuchten Jungs auch keine Förderung, weil sie Jungs sind.
Das schaffst du sowieso nicht!
Tatsächlich habe ich das erst kürzlich wieder gehört. Sowohl Eltern als auch LehrerInnen äußern sich so. Warum? Ich unterstelle ihnen mal eine förderliche Absicht; dann könnte der Sinn und Zweck dahinter sein, das Kind vor Enttäuschung oder Scheitern zu bewahren. Dass es daher besser wäre, es nicht zu versuchen, denn der Schmerz wäre vermeidbar gewesen. Und wer weiß, ob sie mehr über sich selbst sprechen in solchen Momenten als zum Kind.
Doch selbst wenn Eltern und Lehrkräfte es gut meinen: Die Botschaft kommt nicht an. Eher sieht sich das Kind verunsichert, gedemütigt – oder herausgefordert. Nach dem Motto „Jetzt erst recht!“ Das kann beides wohl kaum unser Anliegen sein.
Erwachsene, die sich aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen mit Plan B ihres Lebens zufrieden geben, sind darin auch Vorbild für Kinder. Statt „Das schaffst du sowieso nicht!“ wäre interessant, herauszufinden: Worüber denken wir selbst, dass wir „es“ nicht schaffen? Und dann wieder loszugehen, damit wir unseren Kindern zeigen und sagen können: Nur zu! Ich vertraue dir!
Welche Sätze sagst du nicht mehr? Welche begegnen dir immer wieder und du fragst dich, warum?
P.S.: In diesem Artikel fasse ich die bisherige Kategorie „RedeWende: Umdenken erlaubt!“ aktualisiert zusammen. Die Kategorie findest du also auf dem Blog nicht mehr.