Bisher hätte man aus manchem Artikel schlussfolgern können, dass jeder nur die eigenen Ziele und Absichten herausfinden muss und dann fluppt das alles in der Schule schon. Hast du so etwas gedacht wie: „Ziele gut und schön: Als Schüler muss ich für meine Noten trotzdem Leistungen erbringen!“ „Als Lehrerin muss ich aber Noten geben.“ „Klausuren lassen sich nicht von meinem Schreibtisch weg hexen, korrigieren muss sie immer noch ich.“ Alle diese gedanklichen Einwände haben eins gemeinsam, das muss.
Es ist nicht das, was wir im Alltag verwenden und was wir uns eigentlich auch sparen können, wie etwa „Ich muss morgen einkaufen“ oder „Ich muss meinen Sohn nachher abholen“. Müssen wir das wirklich? Der Satz „Ich gehe morgen einkaufen“ oder „Ich hole nachher meinen Sohn ab“ klingt ganz anders, weil der Druck raus ist. Das Alltags-Muss ist also mit einer großen Portion Druck verbunden. Außerdem klingt es so, als würde jemand oder etwas Anderes für uns entscheiden, dass das zu tun ist. Als hätten wir keine Wahl, denn die Umstände zwingen uns dazu.
Im Schulalltag begegnet es uns natürlich genauso. Wenn du weniger ‚müssen‘ möchtest, kannst du dir bei deiner Kommunikation auf die Schliche kommen und überlegen: Musst du wirklich Kollege xy ansprechen oder sprichst du ihn an? Müssen/sollen deine Schüler Aufgabe 3 auf S. 42 bearbeiten oder bearbeiten sie (bitte) die Aufgabe? Musst du das Arbeitsblatt erstellen oder erstellst du es? Für Lehrer, Schüler und Eltern ist es eine völlig andere Kommunikation, wenn das kleine Wörtchen nicht mehr in Gebrauch ist. Lehrer und Eltern sind dahingehend Vorbild. Dazu weiter unten mehr.
Bedingungen für ein Ergebnis erfüllen
Was wir tatsächlich tun müssen ist also weniger als wir gemeinhin denken und sagen. Und manchmal brauchen wir das Wörtchen eben doch! Dann ist es sozusagen ein Bedingungs-Muss. Für eine bestimmte Note sind bestimmte Leistungen zu erbringen. Wenn jemand z.B. eine 2 in Englisch auf dem Zeugnis erreichen will, sollte er mündlich wie schriftlich ungefähr in diesem Bereich liegen. Und für den Lehrerberuf ist das Notengeben spätestens ab Klasse 9 eine Bedingung, weil das Schulsystem bei uns verschiedene Funktionen hat. Wenn ich Lehrerin bin, muss ich also irgendwann Noten geben. Und falls es an der Schule noch keine andere Möglichkeit der Leistungsüberprüfung gibt, sind Klausuren bzw. Klassenarbeiten oft das Mittel der Wahl. Wenn Schüler als Leistungsüberprüfung Klausuren schreiben, müssen Lehrer sie korrigieren.
Allgemein gesprochen: Für ein Ergebnis sind bestimmte Bedingungen zu erfüllen. Das kann man auf alle Lebensbereiche übertragen, denn für Alles im Leben gilt es, Bedingungen zu erfüllen, selbst zum Leben müssen wir atmen. Wenn du studieren willst, musst du Abitur haben. Wenn du sauberes Geschirr willst, musst du auch mal spülen (oder die Maschine anstellen). Wenn du deinen Lebensunterhalt selbst bezahlen willst, musst du arbeiten…
Was denkst du über Bedingungen?
Es ist gar nicht schwer, die Bedingungen für etwas zu erfüllen, was uns wichtig ist oder woran wir Spaß haben. Wollte ich z.B. beim Handballspiel eine gewisse Einsatzzeit haben, musste ich auch trainiert haben. Ich war selten nicht beim Training, weil ich wusste: Sonst spiele ich nicht. Auch wenn mir nicht immer nach Training war. Wenn du als Lehrer eine richtig gute Idee für den Unterricht hast, investierst du gerne die Vorbereitungszeit, weil du dich schon über das Ergebnis freust. Und wenn ein Schüler sich für den Inhalt interessiert, ist das Lernen-Müssen irgendwie gar kein Muss. Wo fällt es dir leicht?
Umgekehrt fällt auf, dass Leute viel tun ‚müssen‘, wenn sie es doof finden und nicht tun wollen. Besonders bei Dingen, die man erstmal nicht ändern kann. „Ich muss arbeiten“, „Ich muss zur Schule“, „Ich muss Hausaufgaben machen.“ Weil das Nicht-Tun eben Konsequenzen hätte. Eine Alternative scheint es nicht zu geben. So wird das eigene Leben richtig anstrengend: Manche Menschen antworten auf die Frage „Wie geht’s dir?“ mit „Muss ja!“.
Manches müssen wir tatsächlich tun, weil wir nicht im luftleeren Raum leben. 1. Wie findest du das? Würdest du gerne etwas bekommen, ohne dafür etwas tun zu müssen? Wieso? 2. Was denkst du über Bedingungen, was fällt dir als erstes bei dem Wort ein? Ist es positiv oder negativ? Einige Menschen sagen sowas wie ‚Gefängnis‘, ‚Einschränkung‘, ‚blöd‘, ‚unnötig‘, ‚unfair‘, ’nervig‘, ‚anstrengend‘ … 3. Was denkst du über Leute, die Bedingungen erfüllen? Oder sogar gerne erfüllen? Hier kommt oft: ‚Lemminge‘, ‚Idioten‘, ‚Ja-Sager‘, ‚Schleimer’….3. Genau das willst du nicht sein und deshalb erfüllst du ungern die Bedingungen oder eher gar nicht.
Bedingungen als Spielregeln betrachten
Das Problem dabei ist, dass der Widerstand oft zwecklos ist, wie z.B. dass das Abitur Voraussetzung für ein Studium ist. Ist eben derzeit so. Wenn man es gefühlsneutral betrachtet, sind Bedingungen der Rahmen, durch den wir uns ein Zusammenleben ermöglichen. Spielregeln könnte man sie auch nennen. An dieser Stelle will ich von einer Freundin berichten, die die Bedingung für das Medizinstudium beim Abitur 2008 (Abiturnote 1,…) nicht erfüllt hatte. Sie machte eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester, war Au-Pair, arbeitete als Erzieherin und machte einen längeren Urlaub, während sie sich immer wieder bewarb und Wartesemester sammelte. Ganze 7 Jahre später klappte es und seitdem studiert sie glücklich Medizin. Meine liebe, das nenne ich Commitment! Du hast nicht gesagt: „Wenn das so ist, spiele ich nicht mehr mit!“, so wie es viele tun.
Wann spielst du nicht mehr mit? Oder hast du beim Lesen festgestellt: Du findest Spielregeln an sich gut, aber bist nicht mit allen einverstanden? Dann kannst du dein Unbehagen auch dafür nutzen, dich für Veränderungen einzusetzen und Bedingungen zu verhandeln. Das ist oft möglich. Muss ein Schüler sich am Unterrichtsgespräch stündlich beteiligen oder kann er ausführliche Hausaufgaben abgeben? Muss eine Klausur geschrieben werden oder gibt es ein anderes Format, das weniger korrekturaufwendig ist? Deine Aufsicht willst du nicht machen, weil du sonst kaum Pause an dem Tag hast, wer tauscht mit dir?
Musst du noch oder spielst du schon?
Für Fortgeschrittene gibt es eine Steigerung. Du kannst auch überprüfen, ob Bedingungen eigentlich zum Ergebnis passen oder reformbedürftig sind und dann für ihre Erneuerung eintreten. Dann bestimmst du die Spielregeln neu. Das Ziel von 13 oder 12 Jahren Schulbildung ist doch die Entfaltung der Persönlichkeit in sozialer Verantwortung; Brauchen wir dafür wirklich Noten in Klasse 1 bis 8? Brauchen wir überhaupt Noten und was ist eine Alternative? Sind Hausaufgaben zielführend oder können wir sie uns schenken? Wenn Projektlernen zu nachhaltigem Lernen führt, wie können wir diese Bedingung einbauen? Wir wissen so viel darüber, wie Lernen funktioniert und setzen es doch nicht um. Würdest du dich dafür einsetzen, dass wir neue Bedingungen für Kinder und Jugendliche in unseren Schulen schaffen?
Zum Schluss ein wichtiger Zusammenhang. Du kannst darauf wetten, dass deine Schüler und deine Kinder deine Meinung über Bedingungen mitgekriegt haben. Bekommst du öfter Widerstand bei Regeln oder scheinbar einfachen Vereinbarungen? Was halten sie nicht ein? Wenn du deine Überzeugung mal genauer betrachtest und änderst, wird sich das sehr wahrscheinlich erledigen. Und falls du bei ‚Schleimer‘ vorhin dachtest: ‚genau!‘ – Das will keiner sein und deswegen erfüllen Kinder deine Bedingungen nicht. Wie wäre es, sie anstelle dessen als Mitspieler zu sehen?