„Klingt gut, aber…“ – Häufige Bedenken gegenüber gehirn-gerechtem Sprachenlernen

Bedenken gegenüber gehirngerechtem Lernen
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Immer, wenn ich über die gehirn-gerechte Birkenbihl-Methode im Fremdsprachenunterricht spreche, ist das Interesse groß. Gleichzeitig haben einige Lehrkräfte Bedenken und Zweifel, ob das wirklich so machbar ist . Deshalb habe ich die häufigsten Bedenken gesammelt und lade dich ein, über deine Bedenken nachzudenken ?

Das ist zu zeit- und arbeitsaufwändig.

Eine verständliche Sorge in Anbetracht unseres Arbeitspensums! Hier einige Argumente:

  • Veränderst du nichts, bleibst du weiter unzufrieden mit dem anstrengenden und zähen Unterricht. Mein Gedanke war: Weil mir mein eigener Spaß bei der Arbeit genauso wichtig ist wie der Erfolg der Schüler:innen, wähle ich die neue Methode. Mein ‚Wozu‘ leitete mich hier also. Du kannst für dich überlegen, wofür du in der Schule angetreten bist. Ist es dir das wert, die Methode anzuwenden? (Das persönliche ‚Wozu‘ ist übrigens das Allererste, was ich mit den Teilnehmer:innen in meinem Coachingkurs erarbeite.)
  • Im herkömmlichen Unterricht zauberst du auch keine fertigen Stunden her. Im Gegenteil: Du erstellst und korrigierst Vokabeltests und wiederholst ständig Altes, weil es viele Lücken gibt. Der Aufwand für die Umstellung ist also nicht ‚100 zu 0‘.
  • Du benutzt nach wie vor dein Lehrbuch! Du gehst nur anders vor und reflektierst die einzelnen Bausteine der Lektionen intensiver in deiner Planung, weil du sie auf die vier gehirngerechten Schritte anwendest.
  • Das einzige Material, das du auf jeden Fall zusätzlich erstellst, ist die Dekodierung für die Hörtexte. In Latein lese ich auch noch die Audios ein – das entfällt in modernen Fremdsprachen aber häufig, weil es die Audios zu den Lektionstexten zu kaufen gibt.

Veränderung erfordert immer ‚Aktivierungsenergie‘. Der Energieeinsatz nimmt danach schnell ab, weil sich erste Erfolge einstellen und Routine entsteht.

Ich verspreche dir: Es lohnt sich!

Die Schüler:innen wollen das nicht.

Spannend, oder? Wir denken, dass die Schüler:innen Veränderungen im Unterricht verhindern. Je nach Alter kann das tatsächlich sein: Sie kennen es nicht anders und das Bekannte ist vertraut, so unbequem es für Einige auch ist. Sie sind von uns abhängig und wollen sicher sein, dass sie am Ende nicht in die Röhre gucken. Da ist gesunde Skepsis nachvollziehbar.

Diejenigen, die im herkömmlichen Unterricht gut klarkommen, sind manchmal skeptisch. Können sie ihre gute Note halten? Sie brauchen die Erfahrung, dass es auf eine andere Art ebenso gut gelingen kann. Bis dahin hältst du den Raum dafür – das tust du sonst für die andere Gruppe, die nicht gut klarkommt, die ganze Zeit. ?

Es geht darum, dass die Schüler:innen den Hintergrund verstehen.

Wenn unser Gehirn auf eine bestimmte Art gut lernen kann, wieso sollten wir das nicht nutzen? Ich setze dafür am Anfang z.B. YouTube-Videos mit Vera F. Birkenbihl ein, in denen sie das erklärt.

Danach sind die Meisten überzeugt und fragen mich, wieso nicht alle Lehrkräfte so unterrichten.

Außerdem ist das Argument, ab sofort keine Vokabeln und Grammatik mehr pauken zu müssen, mehr als verlockend ;). Sie machen recht schnell die Erfahrung, dass der gehirngerechte Weg sowohl leichter als auch nachhaltiger ist.

Weil die Schüler:innen sich bei uns sicher fühlen wollen, ist es wichtig, dass du selbst dahinterstehst. Dein Mut und deine Begeisterung werden ansteckend sein.

Ich schaffe das nicht allein.

Dieser Gedanke hängt mit der Angst vor dem Arbeitsaufwand zusammen.

Hier ist die Frage, wie sehr dir die Umstellung am Herzen liegt und ob du nicht gerade noch ein anderes großes Projekt verfolgst. Du kannst auch erstmal in einem Kurs beginnen, Sicherheit gewinnen und es danach in weiteren Kursen anwenden.

Fokus hilft dir also.

Wenn in deiner Fachschaft niemand mitmachen möchte (was ok ist!), dann findest du vielleicht eine befreundete Lehrkraft an einer anderen Schule oder ein ‚Match‘ online. Es gibt eine große Community bei Facebook oder du fragst mich und ich teile dein Gesuch bei Instagram und Facebook ?

Manchmal ist es auch so, dass du allein beginnst und Pionierarbeit machst. Dann schließen sich Kolleg:innen an deiner Schule an und ihr unterstützt euch gegenseitig.

In starken Beziehungen wachsen

Die Eltern sind schwer zu überzeugen.

Die meisten Eltern stehen dem Vorhaben positiv gegenüber! Oft sind Hausaufgaben zuhause ein Streitthema, deshalb ist die Umstellung auch für die Eltern attraktiv. Das Interesse der Eltern ist natürlich, dass das eigene Kind keinen Nachteil durch die Birkenbihl-Methode hat.

Genau da kannst du ansetzen. Du möchtest den Kindern das Lernen erleichtern und Erfolgserlebnisse ermöglichen.

Katja und Lisanne haben sich an ihrer Schule im Fach Französisch zusammengetan und ihren Unterricht auf die Birkenbihl-Methode umgestellt. Hier zeige ich dir ihren Elternbrief, den sie vor dem Start an die Familien ausgegeben haben. Die Resonanz darauf war positiv und vielleicht dient das Dokument dir als Inspiration:

Für Schüler:innen mit LRS ist das doch nichts, oder?

Für Kinder mit einer LRS bietet diese Methode viel Potenzial! Sie hören und sehen die Worte wesentlich häufiger im Satzzusammenhang als im bisherigen Unterricht. Dadurch können sie Selbstvertrauen aufbauen: Sie erleben schnell, dass sie sich viele Wörter rein über das aktive und passive Hören merken können.

Ein weiterer Vorteil ist der spielerische Zugang zum Lernen. Wir nutzen viele gehirngerechte Spiele und die Schüler:innen sind wesentlich aktiver als im herkömmlichen Unterricht.

Gehirn-gerechte Methoden wie Memo-Flips und KaWas visualisieren den Lerninhalt, was ihnen ebenfalls entgegenkommt.

Meine Fachschaft unterstützt das nicht.

Ich würde meine Fachschaft vorher informieren, wenn ich den Schritt der Umstellung gehen möchte. Viele wollen da erstmal zuschauen und sich von positiven Lernergebnissen überzeugen lassen.

Letztlich ist es aber in den meisten Fällen deine didaktische Entscheidung, denn du kannst die Birkenbihl-Methode als Makromethode betrachten. Ob du z.B. Portfolio-Arbeit durchführst, musst du ja auch nicht absegnen lassen.

Du kannst weiterhin Klassenarbeiten im vorgegebenen Format schreiben. Eine formale Hürde besteht also nicht.

Ich schaffe den Lehrplan so nicht.

Wenn du deinen Unterricht auf diese Methode umstellen möchtest, hast du in der Regel Veränderungsbedarf. Meistens kommst du nicht so schnell voran wie du gerne möchtest und/oder die Leistungen der Schüler:innen frustrieren dich.

Richtig?

Wenn die Methode ihnen entgegen kommt und ihnen das Lernen dadurch leichter fällt, gewinnt ihr Zeit zurück, die ihr bisher in mühevolles Wiederholen investiert.

So kann es anfangs nach der Umstellung sein, dass ihr etwas langsamer seid als die Parallelklassen. Doch nivelliert sich das recht schnell mit eurem Fortschritt in den weiteren Lektionen.

Hier lohnt es sich auch, langfristig zu denken. Ihr wollt die Methode ja dauerhaft einführen, also kannst du ein ganzes Schuljahr in den Blick nehmen und überlegen, was du am Ende auf jeden Fall erreicht haben möchtest. Nimm das als Orientierung und plane die Zeitblöcke pro Lektion quasi rückwärts, sodass die Schüler:innen wissen, bis wann sie den jeweiligen Hörtext ausreichend gehört haben sollten.

Was hier mitschwingt, ist die Frage nach Grammatikkenntnissen.

Weil Grammatik nicht mehr gepaukt wird, entsteht Sorge, dass sie hinten rüber fällt. Das ist definitiv nicht so. Im vierten Schritt (Aktivitäten) ist Zeit für das Besprechen der neuen Grammatik. Dann wird das grammatikalische Phänomen benannt und Übungen im Buch können genauso genutzt werden wie gehirn-gerechte Methoden.

Bedenken gegenüber gehirngerechtem Sprachenlernen
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Die Kinder bekommen zu Beginn gleich die Übersetzung? Das klingt mir zu leicht. Lernen sie dann wirklich was?

Im modernen Fremdsprachenunterricht ist häufig die aufgeklärte Einsprachigkeit das Ziel. Es soll also so viel wie möglich in der Zielsprache kommuniziert werden. Manche vermuten, dass dies durch die Dekodierung direkt zu Beginn verhindert wird. Das ist jedoch nicht der Fall! Im Gegenteil.

Die Dekodierung dient u.a. dazu, den Schüler:innen den Textinhalt verständlich zu machen. Dadurch fühlen sie sich sicherer und trauen sich eher, in der Zielsprache zu sprechen. Du setzt die Dekodierung außerdem nur solange ein, bis ihr ausreichend aktiv gehört habt. Dann ist der Inhalt klar und jedes fremdsprachliche Wort mit seiner deutschen Bedeutung erfasst.

Zweifel und Bedenken dieser Art haben auch mit unserem eigenen Lernverständnis zu tun: Bei der Umsetzung wirst du an deine Grenzen stoßen. Muss Lernen immer anstrengend sein? Darf es auch mal leicht sein? Darf es Spaß machen und zugleich effektiv?

Was da auch hineinspielt:

Was wäre, wenn bei dir die Schere zwischen denen, die bisher gute Noten haben und denen, die sich schwer tun, weniger weit auseinander geht? Wenn mehr Kinder gute Noten haben könnten, weil die Methode sie mehr anspricht?

Über die eigenen Bedenken nachdenken

Alle Zweifel, die ich hier zusammengetragen habe, sind wichtig. Sie lassen uns nicht voreilig unsere bisherige Arbeit über Bord werfen, sondern mit ausreichend Vorbereitung und Überzeugung an die Sache herangehen. Du musst nicht von heute auf morgen alles umschmeißen. Es ist sogar günstig, wenn du im Selbstversuch die vier Schritte der Birkenbihl-Methode für dich ein paar Mal durchgehst.

Bereite dich z.B. mit dieser Lektüre vor:

  • Lies alle weiteren Artikel in meiner Kategorie ‚gehirn-gerechtes Lernen‘, in der ich meine Erfahrungen aus der Schule mit dir teile. Oder lies diese Bücher:
  • Vera F. Birkenbihl: Sprachenlernen leichtgemacht. 36. Aufl. (2010)
  • Karin Holenstein: Gehirn-gerechtes Sprachenlernen. Die Birkenbihl-Methode im Sprachenunterricht (2013)
  • Karin Holenstein: Genial lernen und lehren mit Birkenbihl-Methoden (2018)
  • Oder schau‘ dir Youtube-Videos an, Karin Holenstein findest du z.B. dort als ‚die Birkenbihl-Lehrerin‚.
Deine Ann-Marie

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