Vokabeln und Grammatik – geht’s auch ohne?

Vokabeln und Grammatik - geht's auch ohne?
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Ich hatte es satt: Vokabeltests mit lauter Sechsen, im Unterricht die gleichen Vokabeln wiederholen, in Arbeiten wundersame Stilblüten entschlüsseln! Die Schüler:innen hatten es satt: Frustrierende Vokabeltests, immer mehr unbekannte Wörter, ständig das Gefühl zu dumm für Latein zu sein!

Ich bin Lehrerin, damit meine Schüler:innen Erfolg haben und nicht, um sie zu knechten. Also wollte ich wissen: Wie geht Lateinunterricht anders? Fündig wurde ich bei Vera Birkenbihl! Hurra! Müssen wir Grammatik und Vokabeln auswendig lernen für eine neue Sprache? Sie ist der Meinung: Nein!

Wie wir unsere Muttersprache lernen

Im Mutterleib sind wir bereits von unserer Muttersprache umgeben, in den ersten Monaten hören wir zu und hören und hören…bis wir langsam mit einzelnen Lauten und dann mit Wörtern beginnen zu sprechen. Dem Sprechen geht das Verständnis voraus, d.h. wir haben die Gesetzmäßigkeiten unserer Muttersprache entdeckt und setzen sie dann selbst um. Dabei korrigiert uns keiner oder erklärt gar die passenden Grammatikregeln dazu. Komische Vorstellung, das zu tun: „Nein, das Partizip von ‚werfen‘ ist ‚geworfen‘, nicht ‚gewerft‘!“ Als Eltern funktioniert’s wunderbar, die korrekte Form selbst zurückzugeben: „Wow, du hast den Ball zu Papa geworfen! Habt ihr Spaß?“

Wie lernen wir Fremdsprachen in der Schule? Häppchenweise, direkt mit eigenem Sprechen oder Übersetzen, Fehlerkorrektur im Plenum und vor allem durch VOKABELN und REGELN. Warum machen wir das anders als bei unserer Muttersprache? Wieso zerlegen wir die Sprachen analytisch, statt uns mit ihnen zu umgeben, sie zu erleben? Sogar Latein kann man wieder zum Leben erwecken.

Ich habe mich gefragt: Gibt es etwas Ineffizienteres als über mehrere Jahre bis zu 6 Stunden pro Woche eine Sprache zu lernen und dann zu sagen „Ich weiß heute nichts mehr davon“?

Dem Wort ‚Schulenglisch‘ oder ‚Schulfranzösisch‘ haftet an, dass es nur für Hallo und Tschüss reicht. Außerdem schwingen oft schlechte Gefühle an diese Zeit mit, weil man wenig Erfolgserlebnisse hatte.

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Methode aus dem Mittelalter

Vera Birkenbihl berichtet, dass die heutige Methode aus dem Mittelalter stammt, wo Mönche Vokabellisten und Regeln notierten, damit andere Mönche die Sprache lernen konnten – Audiodateien gab es halt noch nicht.

Es gab nur ein paar wichtige Unterschiede zur Situation heutiger Schüler:innen: Sie hatten keine andere Aufgabe außer Beten und Lernen, während unsere Kinder vielfache Anforderungen im Schulalltag bewältigen. Sie lernten freiwillig, während wir heute Schulpflicht haben. Die Motivation könnte unterschiedlicher nicht sein und doch hat man die Methode beibehalten, sie ist also überholt. UND sie ist auch nicht gehirn-gerecht, weil z.B. von Anfang an korrekt ausgesprochen werden soll, bevor die entsprechenden Nervenbahnen dafür angelegt sind und Vokabeln ohne Sinnzusammenhang auswendig gelernt werden sollen.

Deshalb hat Vera Birkenbihl eine gehirn-gerechte und damit auch motivierende Methode entwickelt, die ich hier am Beispiel von Latein kurz vorstellen möchte. Auch für die totgesagte Sprache funktioniert sie sehr gut. Jede andere Sprache kann damit gelernt werden (hier gibt es einen ganzen Blog zur Birkenbihl-Methode). Ich persönlich sehe diese Frau als Genie, kennst du YouTube-Videos mit ihr? Sie war geistreich, neudenkend, witzig, intelligent, genial!

In 4 Schritten zum Erfolg

Vorne weg sei gesagt, dass die Methode mit dem bestehenden Lehrbuch kombiniert werden kann. Das mag für manche ein Argument sein, das Experiment einmal selbst zu wagen, ob als Lehrer:in oder zuhause als Schüler:in.

Dekodieren erlaubt

Was ist anders, was macht die Methode aus? Vier Schritte sind zentral. Der erste Schritt ist die Wort-für-Wort-Übersetzung (Dekodierung) des Lektionstextes. Unter das lateinische Wort wird die wörtliche Übersetzung notiert bzw. ich als Lehrerin gebe den Schüler:innen einen bereits dekodierten Text. Dekodieren sie selbst, helfen zwar auch Vokabellisten, die werden aber danach nicht zum Auswendiglernen gebraucht.

Unser erster dekodierter Text

Im Idealfall haben Schüler:innen so mit steigender Lektionszahl immer weniger neue Wörter, sodass sich direkter Fortschritt und Erfolg einstellen. Jeder weiß, dass das bei Lektion 17+ sonst eher anders aussieht mit bekannten Vokabeln…Das Schöne ist außerdem, dass direkt klar ist, worum es inhaltlich geht. So jonglieren sie nicht mit neuen Wörtern und neuer Grammatik, bevor sie überhaupt den Inhalt verstanden haben. Davor waren die Stunden ziemlich zäh, in denen wir Satz für Satz gekrochen sind.

Und mal ehrlich: Jeder schreibt die Übersetzung der einzelnen neuen Wörter intuitiv dazu, vor allem bei Bandwurmsätzen à la Cicero! Wieso sollten wir das nicht nutzen, wenn es doch hilft? Natürlich entsteht daraus noch keine tolle deutsche Übersetzung. Es geht erstmal darum, die Zielsprache Latein zu verstehen, das tolle Deutsch kommt am Ende in Schritt 4 ;). Bei der Dekodierung gilt: „Entweder ist der Satz der Muttersprache ähnlich oder er ist lustig.“

Aktives Hören

Das aktive Hören bildet den zweiten Schritt. Während die Schüler:innen den Text in langsamem Tempo hören (live oder Audiodatei), lesen sie die wörtliche deutsche Übersetzung mit. So werden Klang und Bedeutung verknüpft. Das läuft solange, bis sie den Text komplett auf Latein verstehen und die Dekodierung nicht mehr brauchen.

Das bedeutet, dass sie so die Vokabeln lernen, ohne stures Pauken, immer im Sinnzusammenhang. Sie lernen Satzaufbau und Grammatik nebenbei, ohne dass man daraus Regeln ableiten muss.

Nehmen wir einmal das Verb ‚petere‘, das unterschiedliche Bedeutungen hat, z.B. aufsuchen, angreifen, verlangen, bitten. Bei diesem Vorgehen werden die Varianten im Anwendungskontext erlernt und können daher besser gemerkt werden. Das A und O ist also die Vernetzung der Wörter, gehirn-gerecht halt! Natürlich kann man sich nach diesem Schritt auch über Grammatik unterhalten, aber deren Funktion ist dann schon verstanden.

Ich erinnere mich an lustige Stunden, in denen 15 Handys mit Aufnahmefunktion vor mir lagen (Audio zu groß für WhatsApp!) und ich in Slow Motion den Text vorlas. Manche Schüler:innen mussten rausgehen, weil sie laut lachen mussten. Sie waren zum Glück verrückt genug, das Experiment mit mir durchzuziehen. Jetzt werde ich zu einer Sammlung in einer Dropbox oder einem QR-Code auf der Textkopie greifen. Ich Technikmuffel lerne auch dazu 🙂 Im ersten Lockdown habe ich z.B. die Audios auf einem Padlet gesammelt, so hatten alle auch zuhause das Material parat.

Passives Hören

Der dritte Schritt ist das passive Hören und dient der Verankerung im Unterbewusstsein. Während die Schüler:innen z.B. im Unterricht andere Übungen machen oder danach auf den Bus warten, läuft kaum hörbar der lateinische Text im Hintergrund. Hier soll nicht aktiv hingehört werden. Perfekt für Kinder und Jugendliche heute, denn sie haben ihr Handy dabei und können theoretisch überall passiv hören; mit oder ohne Kopfhörer.

Aktivitäten

Zum Schluss kommen dann Aktivitäten. Eine ‚gute‘ deutsche Übersetzung anfertigen, Übungen im Lehrbuch, kurze Rollenspiele auf Latein, Theater oder viele gehirngerechte Übungen von Birkenbihl selbst: Kategorisieren, ABC-Listen, KaWas, Vokabelspiele…Darüber habe ich im Artikel ‚gehirn-gerechte Übungen für Schule und zuhause‘ mehr geschrieben! Selbst eine Klassenarbeit darüber kann zu diesem Schritt zählen.

Es lohnt sich

Ich behaupte, dass durch diese Methode wesentlich mehr Humor, Spaß und Motivation in den (Latein-)Unterricht einkehren. Fast alle Schüler:innen hatten dadurch bessere Noten. An unserer Schule gibt es ein neues Lehrbuch (prima.brevis), für das ich die Methode angepasst habe. Klar ist das erstmal arbeitsintensiver als das Buch klassisch durchzugehen. Wie viel schöner ist es aber, das bei vielen verhasste Fach Latein anders anzugehen, sodass Schüler:innen Erfolgserlebnisse und Selbstbewusstsein haben.

Neben YouTube kann ich diese beiden Bücher empfehlen, wenn dich das Thema interessiert: Sprachenlernen leichtgemacht! (Vera F. Birkenbihl, 36. Aufl.) und Gehirn-gerechtes Sprachenlernen* (Karin Holenstein).

Deine Ann-Marie

P.S.: Bist du neugierig geworden? Dann habe ich diesen heißen Tipp für dich:

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