Beim letzten Elternsprechtag fiel es mir wieder auf. Einige Kinder hörten sich von ihren Eltern oder ihren Lehrer:innen an, dass sie faul seien, dass sie mehr oder besser Vokabeln lernen müssen. „Vokabeln sind nun mal die Basis beim Lernen von Sprachen!“ Ja, das stimmt. Und ich behaupte, dass wir dafür keine einzige Vokabel pauken müssen, um sie doch zu kennen. Über die Vorteile der Birkenbihl-Methode für mich als Lehrerin und meine Schülerinnen habe ich schon geschrieben. Heute möchte ich zeigen, wie Kinder und Eltern die Methode zuhause als Ergänzung zum normalen Unterricht einsetzen können.
Inhalt
WENN Vokabeln Lernen, dann mit konkretem Ziel!
Zum klassischen Vokabeln Lernen möchte ich noch etwas ergänzen. WENN ein Kind es tun soll, dann vereinbaren wir am besten ein konkretes Vorgehen. Es bringt gar nichts, den Druck mit allgemeinen Forderungen zu erhöhen. Außer dass das Kind sich schlecht oder unzulänglich fühlt. Es funktioniert sowohl für’s Selbstbewusstsein als auch für den Lernerfolg besser, messbare und realistische Ziele festzulegen.
So könnte eins z.B. lauten: ‚Ich schreibe dienstags und mittwochs um 15 Uhr für je 15 Minuten die Vokabeln der Lektion xy auf.‘ Und danach: fertig. Es ist getan, jetzt kann etwas Anderes gemacht werden. Ohne ein konkretes Vorhaben denkt das Kind weiterhin, dass es zu wenig lernt, obwohl es vielleicht sogar mehr macht, denn wer legt die Messlatte wo an? Neben der Messbarkeit sollte vor allem die Realität ein Kriterium sein. Wann passt es wirklich in den Tagesablauf? Wann sind vielleicht auch ältere Geschwister oder Eltern da, um das Kind zu unterstützen?
Die Alternative zum klassischen Vokabeln Lernen
Eigentlich wollte ich ja aber darüber schreiben, wie du als Schüler:in oder Elternteil Fortschritte ins Sprachenlernen bringst, ohne zu pauken oder Nachhilfe in Anspruch zu nehmen ? Es ist hier übrigens erstmal egal, welche Sprache es ist: Latein, Englisch, Französisch, Spanisch, Niederländisch…geht alles. Bei Latein gilt leider bisher noch, dass nur wenige Bücher mit Audio-CD erhältlich sind. Diese Lücke kann ich zumindest für unser Buch (prima.brevis) in meinem Unterricht selbst schließen. Ich überlege auch schon, wie und ob ich mehr Eltern und Schüler:innen unterstützen kann, indem ich lateinische Lektionstexte einlese. Da gibt es bestimmt eine Lösung, die ich bald hier teilen werde.
Ich bin gerade dabei, Latein als dritte Fremdsprache in Klasse 11 mit der Birkenbihl-Methode zu unterrichten. Bei der Methode entfällt jedes Auswendiglernen von Vokabeln und Grammatikregeln. Und es funktioniert ?. Das Geniale ist: Selbst wenn euer Lehrer oder eure Lehrerin nicht mit der Methode arbeitet, kannst du sie zuhause nutzen! Alles, was du dafür brauchst: Die – eben erwähnte – Audioversion der Lektionstexte und eine wörtliche Übersetzung derselben.
Audioversion und Dekodierung für zuhause
Weil die Methode für alle Sprachen funktioniert, nehme ich im folgenden Beispiel Englisch: Jona ist in der 7. Klasse und er tut sich sehr schwer. Er versteht oft nur die Hälfte, Sprechen mag er gar nicht selbst. Mit seiner Note ist weder er noch seine Eltern und Lehrer zufrieden. Im Buch ist seine Klasse gerade bei Unit 3. Seine Eltern kaufen für zuhause die Audio-CD oder eine digitale Version der englischen vertonten Texte, die man in langsamem Tempo abspielen kann. (Ein native speaker sollte es schon sein, damit die Aussprache korrekt ist.) Das langsame Tempo ist wichtig, um die deutsche Dekodierung mitlesen zu können. Viele Player und Apps bieten die Möglichkeit, eine Audiodatei langsamer abzuspielen, ohne dass die Stimme verzerrt wird.
Nun braucht er die wörtliche Übersetzung dieser Texte, insbesondere ab Unit 4. Ja, das ist der einzige Punkt, der etwas zeitaufwendiger sein könnte. Denn die wörtliche Übersetzung gibt es nicht zu kaufen: Lehrer verbieten es den Kindern sogar eher, einen Text wörtlich zu übersetzen, weil dabei ein ‚falsches‘ Deutsch herauskommt. Bei der Birkenbihl-Methode ist diese aber der Ausgangspunkt. Anhand dieser Dekodierung erkennen wir nämlich die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Deutschen und der Zielsprache!
Entweder kennen Jona oder seine Eltern also jemanden, der in Englisch so fit ist, dass er das für ihn erledigen kann oder Jona nimmt (vielleicht mithilfe seiner Eltern) die Vokabelliste des Buchs zu Hilfe und schreibt die einzelnen Vokabeln unter die entsprechenden englischen Wörter. Er kann dafür die Buchseiten größer kopieren, damit unter den Wörtern Platz ist. Die ambitionierte Variante wäre, die Texte mit Leerzeilen abzuschreiben oder abzutippen, damit genug Platz unter jedem Wort ist.
Vorhilfe statt Nachhilfe
Nun ist Jona ausgerüstet. Um zeitnahe Erfolgserlebnisse zu erreichen, beschäftigt er sich nun zuhause mit dem ersten Text der Unit 4. Kritiker werfen sich hier sofort dazwischen und argumentieren: „Ach so, hier wird vorausgelernt! Das ist nicht sinnvoll!“ Ich sehe das anders.
Erstens wollen wir erreichen, dass der klassische Unterricht für Jona in die vierte Phase nach Birkenbihl fällt, nämlich in die Phase der Aktivitäten (hier habe ich die vier Schritte im Detail erklärt). Wenn in der Schule z.B. in 2-3 Wochen mit Unit 4 begonnen wird, versteht er bereits die neuen Wörter und weiß auch, worum es inhaltlich in der Unit geht. Auf dieser Basis sind alle Übungen im Buch und Workbook leichter für ihn zu bearbeiten. Wenn die anderen dann die Vokabeln des Unit 4-Textes als Hausaufgabe aufbekommen, ist er schon wieder mit dem Hören des nächsten Textes beschäftigt. Er hat also keine Mehrarbeit!
Zweitens: Wenn ein Kind dadurch die Vokabeln wirklich lernt, die es mit dem herkömmlichen Verfahren meist vergisst, finde ich das total in Ordnung. Die Absicht ist dabei ja nicht, die anderen Kinder abzuhängen und der Beste zu sein, sondern ein Verständnis für die Sprache zu entwickeln, Erfolgserlebnisse zu schaffen und dadurch selbstverständlich auch die Note zu verbessern. Wer aber in Englisch sowieso mit seiner Note zufrieden ist oder sich fit fühlt, braucht ja auch gar nichts zu ändern. Die Kombination von klassischem Unterricht und Birkenbihl zuhause ist vor allem für Kinder gedacht, die eine Alternative brauchen, um erfolgreich und mit Leichtigkeit Vokabeln lernen zu können.
Die Schritt-für-Schritt-Anleitung
1. Nachdem die Dekodierung erstellt ist (Schritt 1), liest sich Jona diese deutschen Zeilen des ersten Textes aus Unit 4 durch. Damit vergegenwärtigt er sich den Inhalt. Er kann auch sofort mit eigenen Worten wiedergeben, worum es geht.
2. Er markiert die für ihn unbekannten Wörter, egal ob sie neu sind oder aus vorherigen Units. Da er Englisch schon länger lernt, wird er einige Wörter schon kennen. Die neuen markiert er in der deutschen Zeile, wenn er z.B. honest nicht kennt, markiert er darunter ehrlich mit einem Textmarker.
3. Dann startet er die langsame Audioversion und liest parallel die deutschen Zeilen mit (Schritt 2: Aktives Hören). Nach drei Durchgängen macht er eine Pause. Jetzt kann er zum Sport oder Musik hören…
4. Am nächsten Tag hört er wieder zwei- bis dreimal aktiv den Text. Diese Einheiten wiederholt er solange, bis er den englischen Text ohne die Dekodierung vollständig versteht.
5. Anschließend beginnt das passive Hören (Schritt 3). Dazu lässt er die Audioversion leise im Hintergrund und in Dauerschleife laufen, wenn er zuhause ist und anderen Dingen nachgeht. Hauptsache, er konzentriert sich nicht darauf.
Sicherheit und Erfolgserlebnisse
Wenn nun der Text im Unterricht dran ist, ist Jona wesentlich sicherer und wird sich auch eher trauen, selbst zu Englisch zu sprechen! Durch das aktive Hören hat er nämlich die Aussprache verinnerlicht und die Bedeutung der Wörter im Satzzusammenhang gelernt. Das passive Hören verankert dies im Unterbewusstsein. Großartig, oder? Anstatt die Vokabeln zu diesem Text zu pauken, wird er nun mit dem Dekodieren des nächsten Texts zuhause beginnen.
(Wie) sag‘ ich’s dem Lehrer oder der Lehrerin?
Die Frage ist wichtig für einen vertrauensvollen Umgang miteinander. Ich persönlich will als Lehrerin wissen, wie meine Schüler lernen. Das, was funktioniert, unterstütze ich. Ich will aber nicht verschweigen, dass es unter Umständen besser sein kann, erstmal zu starten und den Lehrer oder die Lehrerin später ins Boot zu holen.
Im Gespräch sollten Eltern deutlich machen, dass die Methode zuhause nicht eingesetzt wird, weil der Unterricht so schlecht ist oder weil sie Wettbewerbsverzerrung betreiben wollen. Vielmehr stellt sie eine erfolgsversprechende Ergänzung zum normalen Unterricht dar. Weil Jona in unserem Beispiel auf die herkömmliche Art keine Vokabeln behält, macht mehr vom Selben keinen Sinn.
Wenn du speziell für Englisch nach Erfahrungen mit Birkenbihl suchst, empfehle ich dir noch die Seite der Schweizer Englischlehrerin Karin Holenstein.
Ich bin gespannt, ob du mit deinem Kind die Methode zuhause als Ergänzung ausprobierst und wie es klappt! Schreibe mir gerne deine Rückmeldung per Mail oder als Kommentar unter den Artikel. Auf dass mehr Kinder leichter Sprachen lernen! 🙂