Hast du dich heute schon bei deinen Schüler:innen entschuldigt?

Es tut mir leid

Oder findest du, das hast du als Lehrer:in nicht nötig?

Was denkst du, was passiert, wenn du sagst: „Es tut mir leid“?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es auf dem Weg zu einer wertschätzenden und respektvollen Beziehung zu Schüler:innen unumgänglich ist, denn Lehrer:innen sind Menschen und benehmen sich bisweilen daneben. Ich finde, dass wir uns nicht hinter der Lehrerrolle verstecken dürfen, nach dem Motto: „Ich bin hier Lehrer:in und darf das!“ Das nehmen uns die Kinder übel.

Andererseits schützt die Absicht, in einer respektvollen Beziehung zu Kindern zu sein, nicht vor Konflikten mit ihnen. Konflikte sind überall, wo auch Menschen sind, sie sind völlig normal. Der Unterschied zum normalen Modus („Ich bin die Lehrerin…“) ist, dass wir sie lösen, um Respekt wieder herstellen zu können.

Mein gekränktes Ego

Mehrere Situationen habe ich in guter Erinnerung, eben weil ich über meinen Schatten gesprungen bin, die Angelegenheit zu klären. Leicht war das zunächst nicht und ich hatte einige Fürsprecher für meine Variante der Geschichte, z.B.

„Dieser Jahrgang ist noch nicht in der Oberstufe angekommen.“

„Die Mitarbeit muss wirklich besser werden.“

„Unverschämt!“

Meine Version war natürlich vom ‚Opfer-Standpunkt‘ aus erzählt, d.h. ich habe meinen Anteil an der Situation erstmal nicht betrachtet. Einfach weitermachen wie bisher konnte ich aber auch nicht.

Was war passiert?

Mein erster Mathekurs in der 11: Ich war höchst pädagogisch sinnvoll unterwegs und ließ die Jugendlichen festlegen, welche Mathenote am Schuljahresende auf ihren Zeugnissen stehen sollte. Es ging also um deren Absicht, mit der sie zum Unterricht kamen. So fortschrittlich das ist – dass Einige eine Fünf einkalkulierten, fand ich insgeheim doch doof. Denn das bedeutete ja, dass sie ihrer Erfahrung nach Mathe nicht verstehen, auch nicht bei mir. Um ganz ehrlich zu sein: Mein Ego fand das richtig scheiße!

Damit nicht genug. Ich holte mir sofort die Moral zu Hilfe und dachte:

„Das können die doch nicht machen! Schüler:innen müssen doch wenigstens eine Vier erreichen wollen!“

Nein…müssen sie nicht. Und dass sie das nicht wollen, ist das Ergebnis vom bisher vergeigten Matheunterricht, der kollektiv Ohnmacht bei Schüler:innen zur Folge hat. Ich verurteilte sie also für ihre Resignation, obwohl diese in Schulen hausgemacht ist.

Mein Weg des Begreifens

Mein Vorhaben ging also nicht auf wie geplant. Ich brauchte aber noch ein paar Wochen, bis ich das Problem begriffen hatte. Du kannst es dir vorstellen, wie schlecht die Beziehungsarbeit mit dem Kurs in der Zeit lief! In jeder Stunde bekam ich mich in die Wolle mit ein paar Schülerinnen, die so große Fragezeichen hatten, dass sie nicht mitarbeiten konnten und von mir umfassende Hilfe einforderten.

Die wollte ich ihnen aber nicht geben, weil ich fand, sie sollten jeden noch so kleinen Aufgabenteil erstmal selbst probieren. Diese Mädchen hatten eine gute Begründung: Immer neue Lehrer:innen in den Klassen 5 bis 10 und damit einhergehend inhaltliche Lücken. Das triggerte mich, sagen wir mal, 100%.

Irgendwann war ich frustriert und telefonierte mit Julia (falls du das hier liest: Danke dir!). Sie fragte mich, ob meine Schüler:innen denn überhaupt die freie Wahl bei mir hätten. Äh…nein. Stattdessen war ich nach dem Motto unterwegs: „Entscheidet selbst, für welche Note ihr losgeht, aber bitte nur solche Noten, die ich moralisch gutheiße!“

Das hat der Kurs und besonders die besagten Mädchen zwischen den Zeilen mitgekriegt und mir zu verstehen gegeben, wie sie das fanden. Zu Recht! Das zu erkennen, fühlte sich erstmal nicht toll an. Aber es war ja so, also stimmte ich der Situation zu und entschied mich neu.

Es tut mir leid!

So entschied ich mich für eine ungewöhnliche Unterrichtsstunde. Ich wollte den blauen Elefanten aus dem Raum zu holen, den sowieso alle sahen. Ich war ziemlich nervös, denn alle Tage mache ich das in dem Umfang nicht. Und als alle zuhörten, begann ich mit meiner Entschuldigung:

„Ihr habt in letzter Zeit sicherlich mitbekommen, dass ich nicht bester Laune im Unterricht war, euch auch angefahren habe und ungeduldig war. Dafür möchte ich heute sagen: Es tut mir leid! Ich wollte unbedingt, dass hier keiner mit einer Note rausgeht, die ’schlechter‘ als Vier ist. Ich gehe ab sofort auf eure Fragen so ein, dass ihr einen Schritt weiter kommt. Und ich habe ein paar Bedingungen aufgestellt, die für alle den größten Gewinn ermöglichen. Ich möchte diese mit euch besprechen und gemeinsam unterschreiben.“

Nach dieser Stunde lief es so viel besser! Die Jugendlichen wussten jetzt, dass ich nicht mehr gegen sie arbeitete, sondern für sie. Interessant war auch, dass Einzelne ihre Note neu gewählt haben, und zwar zwischen Vier und Eins! Und ihre Ergebnisse in Beteiligung und Klausur passten dazu. Wenn also noch jemand denkt, dass die Beziehungen zu den Schüler:innen eher im Hintergrund stehen: Hier ist ein Gegenbeispiel!

Nebenbei ist mir der Unterschied zwischen „Es tut mir leid“ und „Entschuldigung“ wichtig. Denn ich will mich nicht ent-schuld-igen, dieses Konzept kann die Kirche gerne känzeln. Schuld bringt immer Schuldgefühle mit sich und die bringen uns nicht weiter. Ich möchte sagen können, dass mir etwas leid tut, ohne auf die Großzügigkeit meines Gegenübers hoffen zu müssen. Zumal wir von Kindern oft eine Entschuldigung verlangen, obwohl sie es nicht wollen. Dann ist es umso mehr eine leere Phrase.

Eine zweite Erkenntnis

Etwas Anderes spielte da noch hinein. Ich selbst sah mich als hilflose Lehrerin, die jahrelange ‚Versäumnisse‘ von Kolleg:innen nicht ausgleichen konnte. Ist es da verwunderlich, dass manche eine Fünf als Ziel wählen? Wenn sogar die Lehrerin hilflos ist, wieso sollten dann Schüler:innen inspiriert über das Fach sein? Sie haben mir damit also nur einen Spiegel vorgehalten, in dem ich mich etwas später erkannt habe.

Diese Erkenntnis konnte ich dann in einem meiner nächsten Kurse anwenden. Vor dem Hintergrund eines unterirdischen Klausurergebnisses (Schnitt 4,7) besprach ich mit meinem gerade übernommenen Kurs: „Diese Noten sind weder für euch noch für mich fruchtbar. Ich wünsche mir für alle ein anderes Ergebnis. Ich weiß zwar noch nicht wie, aber ich möchte mit euch in der übernächsten Klausur den Notenspiegel umkehren. Wir finden heraus, wie das klappen kann. Wer macht mit?“

Wie kann es klappen?

Wir probierten uns durch. Ein super Instrument waren Memo-Flips zur Kurvendiskussion. Wenn man so will, sind das persönlich gestaltete Formelsammlungen, ähnlich wie buddy books. Einige haben sie künstlerisch gestaltet – das war schön zu sehen. Sie wurden gemeinsam inhaltlich gefüllt und als Hilfsmittel im Unterricht und in der Klausur verwendet.

Das finde ich total legitim, denn allein das hilft z.B. Schüler:innen mit (Mathe-)Prüfungsangst. In der übernächsten Klausur haben wir damit tatsächlich genau das Ergebnis erzielt. Ich denke dabei immer an eine Schülerin, die seit Jahren wieder eine Vier schrieb und das als Durchbruch feierte.

Apropos Durchbruch: Demnächst berichte ich von meinen Erfahrungen mit der Birkenbihl-Methode im Fremdsprachenunterricht. Die ist nämlich ziemlich unkonventionell und deshalb liebe ich sie 😉

Hattest du auch ähnliche Situationen in deinem Lehrerleben? Wann hast du gesagt: „Es tut mir leid“ und welche Folgen hatte das?

Deine Ann-Marie

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