Eltern geben jährlich 879 Millionen Euro für Nachhilfe aus, durchschnittlich 87 Euro im Monat (Stand 2016)! Obwohl ich Lehrerin bin, halte ich wenig vom zusätzlichen Lernen nach der Schule. Mir gefällt der Gedanke einfach nicht, dass Schüler nach ihrem Vollzeitjob ‚Schule‘ noch mehr vom Selben machen (sollen). Wieso ich dazu was sagen kann? Ich habe selbst seit der Schulzeit privat Nachhilfe gegeben und während der Uni auch bei einem bekannten Nachhilfeanbieter gearbeitet. Das aber nicht lange, denn ich habe es nicht ertragen. Welche Einwände ich habe, wieso ich das Wort an sich ungünstig finde und wann zusätzliche Förderung sinnvoll ist, möchte ich heute mit euch teilen.
Nachhilfe als verlängerter Arm des Systems
Interessant ist, dass Kinder aus finanzstarken Familien eher Nachhilfe in Anspruch nehmen als solche aus Familien mit geringerem Einkommen (15 und 12 Prozent), genauso mehr Kinder ohne Migrationshintergrund als solche mit (14 und 11 Prozent). Ich formuliere es mal überspitzt: Wer es sich leisten kann und versteht, wo er ein Angebot bekommt, gewinnt. Der Rest steht an und so entsteht ein verlängerter Arm des Systems: Doppelte Benachteiligung. Dabei sollte Nachhilfe doch nachhelfen ? Wem hilft sie eigentlich?
Natürlich gibt es kostenlose bzw. finanzierte Förderangebote in Schulen, die Eltern beantragen können; aber wie viele Eltern meiner Schüler sprechen so wenig Deutsch, dass die Kinder die Förderanträge fürs Amt selbst ausfüllen müssen. Außerdem vergeht häufig viel Zeit, bis Lehrer oder Eltern den Stein ins Rollen gebracht haben und die Nachhilfe wirklich losgehen kann. Da sitzen andere Kinder schon seit zwei Monaten mehrmals wöchentlich beim Nachhilfeinstitut des Vertrauens.
Das Hamsterrad am Laufen halten
„Erhalten in der Grundschule noch knapp 5 Prozent Nachhilfe, sind es in der Sekundarstufe 1 der weiterführenden Schulen bereits rund 18 Prozent. Am häufigsten verbreitet ist die Lernunterstützung an Gymnasien: Fast jeder fünfte Gymnasiast nimmt Nachhilfeunterricht.“ (s.o.) Ist das nicht verrückt, wie beharrlich der Leistungsgedanke das Hamsterrad am Laufen hält? Dazu passt auch, dass 37 Prozent der Nachhilfeschüler in Mathe eine Drei oder noch bessere Note haben! Sie bräuchten die Nachhilfe gar nicht. Wieso nutzen sie diese trotzdem? Was ist an einer Drei in Mathe schlimm? Ist das schon eine Form von Selbstoptimierung, die eher schadet? Und wenn eine Drei in Mathe der Grund für Nachhilfe ist: Wie sehen dann die anderen Noten aus? Ich denke, diese Kinder wären mit Freizeit oder Nichtstun gut beraten.
Bei dem Thema schwingt eher die Orientierung am Defizit mit als tatsächliche Förderung. Muss sich ja lohnen, das Geschäft. Nehmen wir an, der zusätzliche Unterricht ist effektiv; dann wäre der zahlende Kunde schnell wieder weg. Also muss Angst geschürt werden, denn was passiert wohl, wenn alles wieder seinen gewohnten Gang geht? Die Noten werden wieder schlechter! Gut, dass Eltern gleich einen Jahresvertrag abschließen können. So wird ihr Kind garantiert nicht vernachlässigt.
Das Fußballtraining muss dann leider erstmal ausfallen. Obwohl das womöglich die einzige Zeit ist, in der man nicht über Schule nachdenken müsste. Wie schön das wäre, wenn Jugendliche ihre Stärken ausbauen dürften und nicht ständig an der Vier in Mathe basteln müssten! Dann ist das eben so. Bitte lasst die Kinder in Ruhe ihrem Hobby nachgehen, das ist für sie so wichtig. Wir reden so viel über unsere work-life-balance und unsere Kinder arbeiten weiter. Ich habe mich ja schon als Handballerin geoutet: Dabei konnte ich Dampf ablassen, Zeit mit Freunden verbringen und an nichts denken außer den nächsten Pass zur Mitspielerin. Solche Gelegenheiten sollten wir den Kindern und Jugendlichen nicht nehmen.
Nachhilfe statt Schulwechsel
Eine andere Schulform zu wählen ist unattraktiver als die Kinder – zum Teil täglich! – nachmittags pauken zu lassen. Was da alles dranhängt, wenn jemand z.B. vom Gymnasium ‚abgeschult‘ wird. Schon dieses Fachwort ist eine Unverschämtheit, suggeriert es doch das Zurückfallen nach unten. Tatsächlich büßt man damit Status und Ausbildungschancen ein. Aber was soll denn ein junger Mensch über sich schlussfolgern, wenn er ständig Nachhilfe nehmen muss, um klar zu kommen – oder besser gesagt: um sein besorgtes Umfeld zufrieden zu stellen? Ist das besser und deshalb eher in Kauf zu nehmen als eine möglicherweise entspanntere Schulzeit woanders? Wenige Eltern sind so mutig, im bestehenden Selektionssystem etwaige Abschluss-Chancen sausen zu lassen. Den Preis zahlen die Kinder.
Nachhelfen oder befähigen?
Im Wort an sich steckt schon drin, dass Schule es selbst nicht hinbekommt, sodass im Nachgang noch geholfen werden muss. (Ganz Ausgefuchste lernen schon vor!) Überflüssig zu erwähnen, dass das Schulsystem die Nachhilfebranche selbst befeuert, weil die Kids nicht erreicht werden. Das Problem liegt bei der Hilfe. Wird den Schülern dauerhaft geholfen, bleiben sie abhängig. Das Ziel von Förderung sollte sein, dass sie überflüssig wird. Es sollte darum gehen, die Kinder zu befähigen, ihnen Rüstzeug (oder neumodisch: tools) zu geben, damit sie ihr Lernen selbst in die Hand nehmen können.
Dazu müsste man aber weniger auf der Inhaltsebene ackern, als vielmehr die Mitteilung verstehen, die Kinder uns mit ihren Noten machen. Ansonsten bleibt Nachhilfe begrenzt wirksam, wenn Glaubenssätze und innerste Überzeugungen unberücksichtigt bleiben. Denn diese führen zu den schlechten Noten und die Noten bestätigen die Schüler wiederum in ihrem Denken. Statt monatlich die genannten 87 Euro hinzulegen, könnten Eltern auch in ein vernünftiges Coaching investieren (falls das Kind das auch selbst möchte). So können die Ursachen nachhaltig behoben werden. Oder man gründet neue Schulen 😉
Wann ist Förderung sinnvoll?
Es gibt schon Situationen, in denen ein zusätzliches Lernen sinnvoll ist. Zum Beispiel können nach einem Umzug Lücken geschlossen werden, weil die neue Schule thematisch anders vorgeht. Oder längere Krankheit hat die Schulzeit unterbrochen…in jedem Fall möchte ich dazu raten, eine 1:1-Förderung zu wählen! Nur so kann der ‚Nachhelfer‘ einen individuellen Ansatz finden. Kleingruppenangebote halte ich für eine nette Hausaufgabenbetreuung, können aber nicht mehr. Und ich mag Projekte, in denen ältere Schüler Lernpaten oder Tutoren für Jüngere sind, das ist für beide Seiten oft sehr fruchtbar. Sie sind in ihrer Denkweise einfach näher aneinander dran. Da wirkt der Beziehungsaspekt wieder, ohne den wir nicht lernen können! Auch meinen Oberstufenschülern schlage ich zuerst vor, jemanden aus einem höheren Jahrgang zu fragen.
Was hältst du von Nachhilfe? Hast du selbst Erfahrungen damit und was hat funktioniert?